Blaulicht in den Erbinformationen
Frühstück bei… Patrick Grotheer – Dem DRK-Geschäftsführer macht der Fachkräftemangel Sorgen
Ulf Buschmann
Welches Haus ist das richtige? Dieses etwas ältere auf der linken Grundstückshälfte? Oder das andere, das offensichtlich erst vor einigen Jahren errichtet wurde? Die Antwort kommt sozusagen von selbst – Patrick Grotheer öffnet die Haustür mit einem Lachen: „Kommen Sie herein!“ Der Geschäftsführer des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) ist garantiert ein Mensch, der es bequem liebt: Er läuft auf Socken durchs Haus. Klasse, also Schuhe aus, da spricht es sich doch gleich viel leichter und lässiger.
Durchs Wohnzimmer geht es zum Wintergarten. Dem Besucher bietet sich ein grandioses Bild: Ein großer Garten mit Grill- und Sitzecke, ein Rasen und ein ehemaliger Teich. Den hatte Grotheer eigentlich schön mit Sand verfüllt, aber ein junger Wilder hat das Werk längst zunichte gemacht: Jasko, der gut einjährige Hund der Familie. Voller Erwartung steht er vor der Tür des Wintergartens und begehrt um Einlass. Patrick Grotheer sorgt sich um Hose und T-Shirt seines Besuchs. Schließlich darf das Tier doch ins Haus und sorgt auf den Socken für lustige matschbraune Hundepfoten-Abdrücke.
Nun aber ran an den reichlich gedeckten Frühstückstisch. Patrick Grotheer steht in der Küche und bereitet frischen Kaffee zu. Aufschnitt, Käse, Obst, Saft – das alles darf es schon sein. Der DRK-Chef genießt diese Art von Start in den Tag sichtlich. „Anschließend mache ich Homeoffice“, sagt er schmunzelnd. Kaffee? Klar, schwarz, ohne alles. Gastgeber und Gast bedienen sich nacheinander aus dem Brötchenkorb. Erste Frage an diesem Morgen: Wie viele Mitarbeiter hat das DRK derzeit? Der Chef muss rechnen und kommt auf mehr als 400 Mitarbeitende im Kitabereich, im Rettungsdienst und in der Altenpflege.
Wer bei einem Verband wie dem DRK arbeitet, hat sich erfahrungsgemäß das Blaulicht in seine Erbinformation implantiert. Das ist bei Patrick Grotheer nicht anders. Dabei lassen seine Erstausbildung und sein Studienabschluss etwas anderes vermuten: Der 40-Jährige absolvierte zuerst eine Lehre als Bankkaufmann und studierte anschließend an der Universität Bremen Wirtschaftswissenschaften mit Abschluss Diplom-Ökonom.
Aber auf den zweiten Blick wird deutlich, dass Patrick Grotheer die DRK-Erbinformation längst in sich hatte beziehungsweise, dass der Grundstein für die spätere Karriere gelegt war. Die Kurzversion: Zivildienst beim Rettungsdienst im Landkreis Cuxhaven, Ausbildung zum Bankkaufmann, Studium. Dies habe er sich wie viele ehemalige Zivildienstleistende mit Schichten auf dem Rettungswagen am Wochenende finanziert.
Schicksalhafter Einkauf
Das Studium musste dann sogar warten, weil ein Kreisverband aus der Region ganz schnell einen neuen Geschäftsführer benötigte – Patrick Grotheer sprang ein. Und dann war da dieses Aufeinandertreffen mit einem ehemaligen Rettungsdienstkollegen beim Einkaufen. Der wies Patrick Grotheer auf die Ausschreibung in Osterholz hin: Dort werde ein Geschäftsführer gesucht. Am 1. Februar 2017 ging’s los.
Seitdem hat sich beim DRK-Kreisverband Osterholz, wie er eigentlich genannt wird, einiges getan – alleine im Bereich der Mitarbeitenden. Als Patrick Grotheer anfing, zählte der Verband 245, vier Jahre später sind es schon über 400 Menschen auf der Lohn- und Gehaltsliste. Der Geschäftsführer nennt es „Professionalisierung und Erweiterung“. Alle Bereiche seien überdurchschnittlich gewachsen, meint der DRK-Chef: „Die letzten Jahre haben wir schon viele Räder gedreht.“ Er lässt seinen Blick über den Frühstückstisch schweifen: Was soll denn als nächstes aufs Brötchen? Käse oder Aufschnitt – der DRK-Mann entscheidet sich für den Aufschnitt.
Zurück zu den Erbinformationen: Dass davon im Kreisverband Osterholz nichts verloren geht, ist Patrick Grotheer wichtig. Nur nennt er es anders: Identifikationsfaktor. Der soll im Landkreis Osterholz beziehungsweise beim Roten Kreuz möglichst hoch sein. Alleine schon deshalb sei der Verband „einer der wenigen, der keine GmbH gegründet hat“. Hintergrund: Seit etwa Ende der 1990er-Jahre fingen zahlreiche Wohlfahrtsverbände an, Abteilungen auszugliedern. Das Ziel: Sollte der jeweilige Bereich pleite gehen, reißt es nicht den kompletten Verband mit.
Aber das, meint Patrick Grotheer, sei für das DRK Osterholz bisher keine Option. Vielmehr müsse das DRK als Ganzes „nachhaltige und gut ausgestattete Arbeitsplätze schaffen“. Eher nachdenklich schauend beißt Patrick Grotheer in die Brötchenhälfte: „Unser Problem ist, dass die Nachfrage auf der Kundenseite größer ist als das Angebot.“ Sprich: Es fehlen überall Fachkräfte. Seinen und den Weg vieler anderer Mitarbeiter, nach dem Zivildienst irgendwie beim „Kreuz“ hängenzubleiben, gibt es eben nicht mehr. Dafür sucht das DRK nun zum Beispiel einen Menschen, der seinen Bundesfreiwilligendienst als Erste Hilfe-Ausbilder absolvieren möchte.
Und was bringt die Zukunft? Da ist für Patrick Grotheer eines klar: Er rechnet mit einem „exorbitanten Wachstum im Pflegebereich“. Schon jetzt gebe es lange Wartelisten. „Mir macht das Thema Fachkräftemangel definitiv Sorgen“, sagt er, „es gibt keinen Bereich, in dem wir nicht ausbilden. Das ist uns auch wichtig.“ Das Thema Demografie spielt auch im Rettungsdienst eine Rolle: „Die Leute werden älter und anfälliger.“ Also gebe es zum Beispiel mehr Einsätze, die logischerweise mehr Geld kosten. „Aber die Krankenkassen sehen das anders“, weiß der Diplom-Ökonom.
Diese Sorgen hat Jasko nicht. Der Hund liegt entspannt vor der Veranda und wartet ab, was da gerade geschieht. Patrick Grotheer schaut aus dem Fenster und entdeckt auf dem an sein Grundstück grenzendes Feld drei Rehe: „Das liebe ich an diesem Ort.“
(Quelle: Osterholzer Kreisblatt - 14.08.2021)